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Das Hauptproblem von Kuba ist die Feindseligkeit der Vereinigten Staaten: Interview mit PBS

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Zusammenfassung: Interview, das Comandante en Jefe Fidel Castro Ruz, Erster Sekretär der Kommunistischen Partei Kubas und Vorsitzender des Staats- und des Ministerrats, am 3. Februar 1977 dem US-amerikanischen Journalisten William Moyers über die Beziehungen zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten gegeben hat.

 

William Moyers: Herr Präsident, welches sehen Sie als das brennendeste Problem zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba an?

 

Fidel Castro: Von meinem Gesichtspunkt aus ist das Hauptproblem die Feindseligkeit der Vereinigten Staaten unserem Land gegenüber. Diese Feindseligkeit äußerte sich vom ersten Augenblick an. Die Zuckerquote wurde gestrichen, die wirtschaftliche Blockade eingeführt, eine Kampagne zur Organization von subversiven Aktivitäten, von Sabotagen, von bewaffneten Gruppen im ganzen Land, die von den Vereinigten Staaten versorgt wurden, wurde begonnen; die Invasion der Schweinebucht wurde organisiert. Nach der Schweinebucht wurde ein Plan von Piratangriffen gegen unser Land von Florida und Mittelamerika aus veranstaltet. Der Terrorismus wurde organisiert, es wurden vor allem Dutzende Mordpläne gegen die Führer der Kubanischen Revolution ausgeführt, es wurden sogar Praktiken der bakteriologischen Kriegsführung gegen unser Land angewandt. Ein Flottenstützpunkt in unserem Gebiet wird gegen unseren Willen aufrechterhalten.

 

Warum geschehen alle diese Sachen? Wie ist das möglich? Schlicht und einfach weil die Vereinigten Staaten ein mächtiges Land sind und wir sind ein kleines Land. Wir können nicht die Vereinigten Staaten wirtschaftlich belagern, wir können nicht die Subversion in den Vereinigten Staaten organisieren, wir können nicht Söldnerinvasionen gegen die Vereinigten Staaten organisieren, wir können nicht den Terrorismus in den Vereinigten Staaten fördern, wir können gar nicht daran denken, Attentatspläne gegen die führenden Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten zu organisieren, wir können nicht bakteriologische Kriege gegen die Vereinigten Staaten organisieren, wir können keinen Flottenstützpunkt in den Vereinigten Staaten haben.

 

Viele von diesen Dingen nicht nur aus objektiven Gründen sondern auch aus moralischen Beweggründen. Wir können zum Beispiel gar nicht daran denken, Mordpläne gegen die führenden Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten zu organisieren. Die Vereinigten Staaten haben jedoch während mehr als 10 Jahren diese Pläne gegen unser Land organisiert.

 

Also, unserer Meinung nach, ist die Hauptfrage diese Feindseligkeit, die die Vereinigten Staaten als mächtiges Land gegen Kuba ausüben.

 

William Moyers: Was ist Ihrer Meinung nach der Grund, der all dies hervorgerufen hat?

 

Fidel Castro: Ich meine, dass es viele Gründe gibt.

 

Ich denke, dass die Kubanische Revolution in der Blütezeit des Kalten Krieges entsteht, als die Mentalität der US-amerikanischen öffentlichen Meinung gegen die sozialen Veränderungen bedingt war, und das hat es sozusagen ermöglicht, diese öffentliche Meinung gegen die Kubanische Revolution auszurichten, und so wurden die Pläne gegen unser Land erleichtert. Ich denke auch an eine imperialistische Mentalität. Ich muss aufrichtig sein. Die Idee, dass Kuba eine Art US-amerikanisches Eigentum war; eine Allergie gegen die sozialen Veränderungen, eine große Besorgnis um die Interessen bestimmter Monopolunternehmen. In wenigen Worten, ich denke, dass es in der Regierung der Vereinigten Staaten eine kolonialistische Mentalität bezüglich Kubas gab, und sie wollten keinesfalls die politischen und sozialen Veränderungen in Kuba akzeptieren.

 

Kuba ist nicht der einzige Fall. Im Allgemeinen, mussten viele Länder von Lateinamerika diese Interventionen und Aggressionen seitens der Vereinigten Staaten ertragen. Vor der Kubanischen Revolution ereigneten sich die Intervention in Guatemala und der Sturz der Regierung von Guatemala, weil diese einige solcher Gesetze wie das Gesetz der Agrarreform und andere soziale Veränderungen durchgeführt hatte.

 

Davor hatten schon viele Länder die Intervention der Vereinigten Staaten kennen gelernt: Santo Domingo, Haiti, Nicaragua. Praktisch haben alle Länder von Lateinamerika, auf die eine oder andere Art und Weise, jene Intervention erfahren. Panama ist ebenso ein Beispiel. Als die Länder von Lateinamerika sich von der spanischen Beherrschung befreiten, sind sie unter englische Herrschaft geraten und danach unter die Beherrschung durch die Vereinigten Staaten.

 

Und ich denke, dass die Idee von einem unabgängigen Kuba in der Mentalität der US-amerikanischen Politiker nicht in Betracht kam.

 

William Moyers: Haben Sie daran gedacht, dass die erste kommunistische Gesellschaft in dieser Hemisphäre die Vereinigten Staaten nervös machen könnte?

 

Fidel Castro: Aber ich denke, dass wir uns noch viel nervöser fühlen könnten, wenn wir daran denken, dass wir als Nachbar ein so mächtiges kapitalistisches Land wie die Vereinigten Staaten haben. Und wenn wir uns damit abfinden können, warum können die Vereinigten Staaten sich nicht damit abfinden, dass es ein kleines Nachbarland mit einem sozialistischen System gibt?

 

William Moyers: Che Guevara hat über den Export der Revolution gesprochen.

 

Fidel Castro: Che Guevara hat über die Zucker-, die Tabakausfuhr und all dies gesprochen, aber er hat nicht davon gesprochen, die Revolution zu exportieren. Es ist so, dass die Revolutionen nicht exportiert werden können. Er hat über die Sympathie und Solidarität mit den revolutionären Bewegungen gesprochen, und wir alle haben davon gesprochen und sprechen im Allgemeinen davon.

 

Wenn man jedoch in Wirklichkeit über den Export der Revolution spricht, dann muss man zuerst über den Export der Konterrevolution sprechen. In Wirklichkeit haben wir Sympathie für alle Revolutionäre empfunden und fühlen Sympathie für sie alle, aber die Vereinigten Staaten haben sich wirklich dem gewidmet, die Konterrevolution zu exportieren. Sie haben die Konterrevolution nach Guatemala exportiert, nach Kuba, nach Chile, nach Brasilien, nach Santo Domingo und in viele Teile der Welt.

 

Ich meine, dass die Revolution wirklich nicht ausgeführt werden kann, weil die Revolution eine Idee ist, sie entspricht historischen Gesetzen, sie entspricht sozialen Situationen, und keine von diesen Situationen kann künstlich erschaffen werden. Allenfalls werden die revolutionären Ideen verbreitet, sie breiten sich aus, aber man kann nicht eigentlich über Revolutionsausfuhr sprechen.

 

William Moyers: Herr Präsident, wie haben Sie sich gefühlt, als Sie zum ersten Mal erfahren haben, dass die CIA versuchte, Sie zu stürzen?

 

Fidel Castro: Das ist so lange her, dass ich mich fast nicht mehr erinnere, aber mir scheint es irgendwie so, dass es eine offensichtliche Wahrheit seit Beginn der Revolution gewesen ist. Und für die US-Amerikaner waren die Berichte über die Mordpläne anscheinend etwas Neues; für uns war es etwas sehr Bekanntes. Deswegen stellten die Informationen des Senats der Vereinigten Staaten für uns keine Überraschung dar. Weil wir das von Anfang an wussten. Wir mussten Aberdutzenden von direkten oder indirekten Mordplänen der CIA die Stirn bieten. Und in gewisser Weise haben wir uns daran gewöhnt. Wir haben es unzählige Male an die Öffentlichkeit gebracht, aber, allem Anschein nach, war es für das US-amerikanische Volk eine neue Nachricht.

 

William Moyers: Haben Sie diesen Bericht, den Bericht des Senats über die Mordkomplotte, gelesen?

 

Fidel Castro: Tja derjenige, den ich gesehen habe, wurde nicht in diesem Band verlegt. Er war ungefähr von dieser Größe. Ich sehe, dass dieser hier 335 Seiten hat. Ich habe den größten Teil gelesen, besonders die Dinge in Zusammenhang mit Kuba, und ich kann sagen, dass hier tatsächlich nur ein Teil der von der CIA direkt organisierten Pläne, um die Führer der Kubanischen Revolution umzubringen, enthalten ist.

 

William Moyers: Nach der Raketenkrise, haben Sie da gedacht, dass die Versuche, Sie zu ermorden, aufhören würden?

 

Fidel Castro: Tatsächlich glaube ich das nicht. Ich denke, dass jene Pläne über mehr als 10 Jahre gedauert haben. Meiner Meinung nach haben jene Pläne ungefähr 1960 begonnen, und noch 1971, als ich Chile besucht habe und auf der Rückreise in Peru und Ecuador zwischengelandet bin, wurde in allen diesen Ländern eine echte Menschenjagd seitens der Elemente, die von der CIA unterstützt wurden, organisiert.

 

William Moyers: Haben Sie Beweise dafür?

 

Fidel Castro: Ich habe die Gewissheit, das ist etwas mehr noch als ein Beweis, weil uns danach auf die eine oder andere Weise alle Pläne, die organisiert wurden, bekannt wurden, und einige jener Elemente, die daran teilgenommen haben, es verbreitet und veröffentlicht haben. Sie hatten sogar Fernsehkameras mit eingebauten Selbstladewaffen mitgebracht, sie standen so vor mir, wie wir uns jetzt befinden; aber wie es viele Male passiert ist, aus dem einen oder anderen Grund, haben sie sich nicht zum Handeln entschlossen. Sie brachten Waffen mit, die sie von Bolivien nach Chile transportiert hatten, über Leute, die mit der US-amerikanischen Botschaft in Bolivien in Verbindung standen. Und auch später, als sie erfuhren, dass ich nach Peru fahren würde, zu einer Zwischenlandung, haben sie versucht, das Attentat in Peru zu organisieren. In Ecuador haben sie genau das Gleiche gemacht, eine echte Jagd, die nicht nur von Elementen, die die CIA trainiert hatte, organisiert wurde, sondern auch von Elementen, die mit der CIA verkehrten und unter dem Schutz von einer Mentalität, einer Atmosphäre gestanden haben, die die CIA um Kuba herum geschaffen hat, kraft welcher der Mord an den Führern der Kubanischen Revolution als ein Recht und etwas Normales und Natürliches angesehen wurde.

 

William Moyers: Versuchen sie es immer noch?

 

Fidel Castro: Ich kann es nicht versichern, aber ich hätte auch keinerlei Gründe zu vertrauen.

 

William Moyers: Zu glauben, dass es so ist? Das heisst, Sie haben keine Gründe, darauf zu vertrauen, dass es das Gegenteil ist?

 

Fidel Castro: Ich habe keine Gründe darauf zu vertrauen, dass es eine Berichtigung gegeben hat. Mir ist bekannt, dass Anzeigen über all das gemacht worden sind, Ich weiß, dass die US-amerikanische öffentliche Meinung selbst wegen all dieser Probleme recht betroffen gewesen ist, dass es eine weltweite Verurteilung gegen diese Methoden gibt. Aber wenn Sie mich fragen, ob ich Beweise habe, dass die CIA auf diese Verfahren verzichtet hat, dann sage ich Ihnen, dass ich keinerlei Beweise dafür habe.

 

William Moyers: Was können Sie über die Leute sagen, die in Miami im Exil leben?

 

Fidel Castro: Ich meine, dass ein großer Teil von ihnen sich an die US-amerikanische Gesellschaft angepasst hat, sie haben schon Interessen innerhalb der Vereinigten Staaten geschaffen. Sie beginnen, eher wie US-Amerikaner denn als Kubaner zu denken.

 

Und ich meine, dass eine Minderheit, sehr klein, insbesondere von jenen Elementen, die für die Piraterie-, Sabotage- und Terrorismustaten trainiert wurden, weiterhin ein Gewalt- und Angriffsverhalten gegen die Kubanische Revolution aufrecht erhält, aber nicht aus Prinzip, sondern aus rein professionellen Gründen. Sie haben gelernt, von dem Beruf als Terroristen zu leben und sie können sich nicht damit abfinden, von einer anständigen Arbeit zu leben; sie möchten ihr ganzes Leben von Gewalt und Terrorismus leben.

 

Aber hierzu möchte ich Ihnen sagen, dass die potenzielle Gefahr, die diese Elemente bedeuten, der Kubanischen Revolution keine Sorgen macht. Ich denke, dass sie eine größere Gefahr für die Vereinigten Staaten selbst als für uns darstellen.

 

William Rogers: In welchem Sinne?

 

Fidel Castro: Im Sinne, dass sie untereinander terroristische Methoden innerhalb der Vereinigten Staaten anwenden. Sie benutzen Sprengstoffe gegen fortschrittliche Organisationen. Untereinander, in ihren eigenen inneren Kämpfen, wenden sie den Terror an, oder verüben solche Morde, wie den von Letelier, wo sie offensichtlich im Dienst der Regierung von Pinochet gehandelt haben.

 

Aber wenn Sie ein Beispiel möchten: Watergate ist ein Beispiel. Dieselben Elemente, die für die Sabotage- und Terrorismustaten gegen Kuba trainiert worden sind, waren jene, die benutzt wurden, um den Sitz der Demokratischen Partei in Watergate auszuspionieren und sind gegen die US-amerikanischen Bürger selbst benutzt wurden.

Nach meiner Auffassung sind sie eine gleiche oder größere Gefahr für die Vereinigten Staaten als für uns.

 

William Moyers: Was sollte Ihrer Meinung nach die US-amerikanische Regierung machen, um all dies zu vermeiden?

 

Fidel Castro: Um den Terrorismus zu vermeiden?

 

William Moyers: Spezifisch den Terrorismus gegen Kuba.

 

Fidel Castro: Ich denke, dass sie eine Position der Anwendung der Gesetze einnehmen sollte. Wenn sie möchten, fangen wir hiermit an.

 

William Moyers: Ich habe schon die 10 Minuten überschritten.

 

Fidel Castro: Das macht nichts, sie können eine andere Rolle einlegen und wir können noch ein paar weitere Minuten reden.

 

William Moyers: Was würden Sie wollen, dass die US-amerikanische Regierung in Bezug auf den Terror gegen Kuba machen sollte?

 

Fidel Castro: Na gut, diese Elemente haben ihre Tätigkeiten hauptsächlich von Florida, von den Vereinigten Staaten aus durchgeführt. Zum Beispiel, die Angriffe gegen die Fischer, die Morde an den Fischern, wurden von Florida aus verübt. Manche Mordpläne gegen kubanische Diplomaten wurden von Leuten begangen, die in den Vereinigten Staaten leben und den US-amerikanischen Reisepass besitzen.

 

Ich denke, dass es ausreichend wäre, wenn die Vereinigten Staaten sich entscheiden würden, das Gesetz gegen alle diese Gesetzesbrüche der Vereinigten Staaten selbst anzuwenden und die Toleranz zu beseitigen, dann hätten die Terroristen keine Möglichkeit zu handeln. Aber ich wiederhole, die Terroristen machen nicht uns Sorgen. Ich sage es Ihnen aufrichtig. Wir werden immer die Mittel finden, uns vor den Terroristen zu verteiden.

 

William Moyers: Im September haben die Veteranen der Invasion auf die Schweinebucht eine Versammlung in Miami organisiert, um einen Terrorkrieg gegen Ihr Land auszulösen. Haben Sie von dieser Versammlung gehört?

 

Fidel Castro: Nein.

 

William Moyerr: Dass der Bürgermeister von Miami dort war, dass der Abgeordnete Claude Pepper dort war.

Fidel Castro: Na ja, das doch. Ich habe einige Zeitungen gesehen, die wir nach der Sabotage gegen das Flugzeug von Cubana in Barbados analysiert haben, und wir haben bemerkt, dass manche Zeitungen, die in Miami herausgegeben werden, über Versammlungen, die Teilnahme von einigen US-amerikanischen Obrigkeiten, sogar über einige Versammlungen unter Teilnahme von Somoza und einige Aussagen dieser Art informiert haben. Aber, na gut, oftmals haben jene Gruppen das ganze Leben lang mündliche Kriegserklärungen abgegeben.

 

Die Elemente, die sich dem Terrorismus widmen, sind eine Minderheit, nur wenige Hunderte von extremistischen Elementen, wie ich Ihnen sagte, aber nicht aus ideologischen Gründen oder weil sie Fanatiker wären, sondern weil sie einfach Terrorprofis sind, sie leben davon, und es ist für sie erforderlich, einige dieser Tätigkeiten durchzuführen, um Fonds einzuziehen.

 

William Moyers: Einen Monat nach dieser Versammlung wurden Bomben in ein Flugzeug von Kuba in Jamaika gelegt und 73 Personen haben den Tod gefunden. Dieselben Organizationen, die an dieser Versammlung teilgenommen haben, haben sich die Tat zugeschrieben. Sie haben gesagt, dass die CIA dafür verantwortlich war, haben Sie irgendeinen Beweis dafür?

 

Fidel Castro: Schauen Sie, wenn Sie mich fragen, ob wir Dokumente als Beweismittel dafür haben, würde ich nein sagen. Aber wir sind vollkommen davon überzeugt, dass die CIA dahinter steckt. Diese terroristische Kampagne gegen die kubanischen diplomatischen Vertretungen und die kubanischen Flugzeuge wurde unverzüglich nach den von Ford in Miami abgegebenen Erklärungen und nach den Drohungen der Regierung der Vereinigten Staaten gegen Kuba, nach dem Krieg in Angola, ausgelöst.

 

Es ist offensichtlich, dass alle diese Taten, nach jenen Erklärungen der Gewalt und jenen Drohungen, synchronisiert und mit absoluter Straflosigkeit zu geschehen begannen. Die terroristischen Elemente bewegten sich durch das ganze Gebiet der Karibik und von Mittelamerika, mit chilenischem Reisepass, mit nicaraguanischem Reisepass, mit den ausgeklügeltsten Techniken, den mächtigsten Sprengstoffen, wobei Ausländer benutzt wurden, wie jene Venezolaner, die sie für diesen Anschlag benutzt haben, und haben mit absoluter Straflosigkeit gehandelt, wie diese Elemente nur handeln können, wenn sie Mittel und eine mächtige Unterstützung haben.

 

Ausserdem waren im Notizbuch derjenigen, die direkt an der Tat teilgenommen haben, die Adresse und die Telefonnummern von Beamten der US-amerikanischen Botschaft in Venezuela vermerkt. Und es ist sogar bekannt, dass bestimmte Beamte der Botschaft der Vereinigten Staaten in Venezuela nach dem Anschlag angerufen wurden, die danach erklärt haben, dass die Verbindungen mit dem Anschlagstäter nur journalistische Verbindungen gewesen seien, dass dieser Mann eine Werbungsarbeit gemacht habe, und dass dies die Verbindungen gewesen seien, die er mit der US-amerikanischen Botschaft hatte.

 

Ausserdem, wir erleiden schon seit 18 Jahren Agressionen, und hinter allen diesen Agressionen hat immer die CIA gesteckt: während der Subversion in Kuba, als tausende Waffen mit Flugzeugen abgeworfen oder vom Meer aus gelandet wurden, hat die CIA die Taten geleugnet; als die Invasión der Schweinebucht stattgefunden hat, hat die CIA die Tatsachen geleugnet; als uns die von Nikaragua kommenden Flugzeuge bombardiert haben, haben sie gesagt, dass es kubanische Flugzeuge gewesen seien; als wir öffentlich angeprangert haben, dass Attentate gegen den Führer der Revolution vorbereitet wurden, hat die CIA es geleugnet; als wir öffentlich angeprangert haben, dass Pläne der bakteriologischen Kriegsführung gegen Kuba vorbereitet wurden, hat die CIA es geleugnet. Es ist in diesen Jahren absolut nichts geschehen, dass die CIA nicht geleugnet hätte; die Geschichte hat es jedoch übernommen, es danach zu beweisen. Eines Tages wird die Teilnahme der CIA an diesen Terrortaten auch in allen Einzelheiten bekannt werden.

 

William Moyers: Einige der in Miami im Exil lebenden Personen haben zum Beispiel gesagt, dass kubanische Agenten, von Havanna aus, die Verantwortlichen des Mordes an Juan Perullero gewesen seien.

 

Fidel Castro: Schauen Sie, in Wirklichkeit ist das, was in Miami geschieht, ein innerer Krieg. Ich habe Agenturmeldungen gelesen, dass es Individuen gibt, die Dutzende von Bomben gelegt haben. Manchmal in einigen… Zum Beispiel haben sie jetzt eine Bombe in der Universität, wo Angela Davis gesprochen hat, gelegt, und dann wurde unter ihnen selbst ein innerer Krieg ausgelöst, der eine Reihe von Bluttaten verursacht hat. Ich meine, dass die US-Amerikaner Mittel haben, um zu ermitteln, wie jene Taten passieren und wer die Schuldigen sind.

 

Willia Moyers: Würden Sie gern sehen, dass das passiert?

 

Fidel Castro: Selbstverständlich ja.

 

William Moyers: Viele jener im Exil lebenden Personen sind alte Kameraden, wie Rolando Martínez, der als „Musculito“ bekannt war. Er war in der Universität von Havanna. Am Anfang war er für die Revolution.

 

Fidel Castro: Rolando Martínez?

 

William Moyers: Rolando Martínez, kennen Sie ihn?

 

Fidel Castro: Der Name Rolando Martínez erinnert mich an keinen herausragenden Teilnehmer an der Revolution.

 

William Moyers: Welcher Art Menschen sind diese Männer?

 

Fidel Castro: Die Elemente, die an unserer Seite waren und das Land verlassen haben?

 

William Moyers: Ja.

 

Fidel Castro: lch werde Ihnen was sagen. Über alle dies wird ein bisschen Legende gewoben.

Ich erinnere mich genau an alle Gefährten, die am Moncada-Angriff, an der „Granma”-Landung, am Kampf im Gebirge Sierra Maestra teilgenommen haben.

 

Wer sind jene Gefährten, deren Teilnahme bei jenen Geschehnissen die am meisten herausragende gewesen ist? Gefährten wie Raúl, Almeida, alle diese Gefährten sind im Politbüro der Partei.

 

Wenn Sie objektiv alle Menschen analysieren, die eine fundamentale Teilnahme an der Revolution gehabt haben, dann sehen Sie, dass alle diese entweder im Kampf gefallen sind oder hier in Kuba sind und die Revolution verwirklichen.

 

Eine unbedeutende Minderheit derjenigen, die eine Teilnahme in geringem Umfang im Kampf gehabt haben, waren diejenigen, die danach weggegangen sind. Es gibt einige Individuen, die zwei Monate im Krieg, einen Monat im Krieg waren und danach gesagt haben, dass sie Veteranen der Sierra Maestra seien.

 

Aber wenn man die Geschichte von allen Gefährten, die an den Hauptetappen des Kampfes teilgenommen haben, schreibt, alle sind der Revolution treu geblieben. Wenn man alle, die in der Sierra Maestra gekämpft haben, analysiert, von je 100 sind 95 in der Revolution integriert. Es gibt nur einige wenige von jenen, die in der Sierra Maestra oder am Untergrundkampf teilgenommen haben, die desertiert sind. Und mit wem haben sie sich danach zusammengetan? Mit den Batista-Anhängern, mit jenen, die unsere Gefährten umgebracht haben, mit jenen, die tausende Verbrechen begangen haben; das heisst, sie haben die Flagge der Revolution verschmäht.

 

Was ich über sie denke? Tja, ich denke nichts Bestimmtes. Ich denke, dass es den sozialen Prozessen eigen ist, wo nicht immer alle die selbe Art und Weise zu denken haben.

 

Aber wie hätte sich die Revolution halten können, wenn nicht 95% der Revolutionäre sie unterstützt hätten, und wenn das ganze Volk sie nicht unterstützt hätte?

 

Logischerweise muss es einige Ausnahmen geben. Und für mich sind diese Fälle etwas Logisches, Natürliches, Historisches. Die ganze Welt hat Verräter gehabt; selbst Ihr, die US-Amerikaner, habt im Kampf um die Unabhängigkeit Verräter gehabt, einige wenige Verräter. Wir haben auch Verräter gehabt, aber ich denke, dass es keine wesentliche Bedeutung hat.

 

William Moyers: Welcher Zusammenhang bestand Ihrer Meinung nach zwischen der Raketenkrise und der Schweinebucht?

 

Fidel Castro: Es gibt einen recht direkten Zusammenhang. Nach der Invasion in der Schweinebucht war die Regierung der Vereinigten Staaten sehr angeschlagen und nachtragend. Und nach dem Versuch der wirtschaftlichen Blockade, der Subversion und jener Art von Krieg wie dem in der Schweinenbucht hatten sie nur eine einzige Alternative: die direkte Invasion in Kuba. Und diese Gefahr existierte unserer Meinung nach wirklich, und das war es, was hinter der Entscheidung stand, die strategischen Raketen auf Kuba aufzustellen. Das heisst, dass wir ab jenem Zeitpunkt, ab dem wir mit dieser Art von Waffen in unserem Land rechnen könnten, gegen eine direkte Invasion der Vereinigten Staaten geschützt wären. Wir würden die Risiken jeglichen Atomkrieges laufen, die im Allgemeinen die ganze Welt läuft, aber wir würden die Risiken von einem direkten Angriff der Vereinigten Staaten verhindern.

 

Und ich möchte Ihnen etwas sagen: unser Land ist großen Gefahren ausgesetzt gewesen. Wenn die Pläne der Invasion in der Schweinebucht Erfolg gehabt hätten, hätte uns das mindestens eine Million Menschenleben gekostet. Eine direkte Invasion der Vereinigten Staaten gegen Kuba hätte das Leben von Millionen kubanischen Bürgern gekostet und wäre ein echter Völkermord geworden. Und wir versuchten, dies zu vermeiden. Dies ist die Verbindung zwischen dem Angriff der Schweinebucht und der Raketenkrise.

 

Nach der Raketenkrise wurde die Vereinbarung getroffen, dass die Vereinigten Staaten keine direkte Invasion auf Kuba ausführen würden. Wenn dies das Zugeständnis war, das die Vereinigten Staaten gemacht haben, gaben sie im Grunde genommen zu, dass die direkte Invasion zu ihren möglichen Plänen gehörte. Nach der Raketenkrise gelang eine Periode, die nicht als Friedensperiode bezeichnet werden kann, aber doch als eine Zeitspanne der Gewähr gegen einen direkten Angriff der Vereinigten Staaten. Aber dies ist die unbestreitbare Verbindung zwischen dem Angriff auf die Schweinebucht und der Raketenkrise.

 

William Moyers: Nach der Schweinebucht (Girón) haben jedoch alle diese Attentate auf Ihr Leben angefangen.

 

Fidel Castro: Na ja, schon vor Giron. Die Attentatspläne gegen mich haben schon vor der Schweinebucht angefangen, und haben nach Giron meiner Meinung nach mindestens 10 Jahre gedauert. Ich bin der Meinung bis 1972. Aber man muss zwischen den direkten und indirekten Plänen unterscheiden.

 

Außerdem, nach der Schweinebucht-Krise wurden die Attentatspläne fortgesetzt; und sie wurden nach der Raketenkrise fortgesetzt. Und außerdem, nach der Raketenkrise wurde ein Plan von Angriffen auf unsere Küsten mit Piratenschiffen organisiert, welche ihre Stützpunkte in Florida und Mittelamerika hatten, die direkt von der CIA gesteuert wurden. Jahrelang haben wir diese Art von Angriffen auf Zuckerlager, Erdölraffinerien und Küstenanlagen erlitten. Und diese Pläne wurden nach der Raketenkrise ausgeführt. Ich glaube, dass die systematischen Angriffe um das Jahr 1965, 1966 aufgehört haben. Danach sind weiterhin einige sporadische Angriffe von terroristischen Elementen vorgenommen worden, die mehr oder weniger in Verbindung mit der CIA standen, die aber nicht mehr direkt von der CIA gesteuert wurden.

 

William Moyers: Was für eine Art Belastung hat das für die kubanische Bevölkerung bedeutet?

 

Fidel Castro: Na ja, es hat uns an erster Stelle gezwungen, enorme Ausgaben für die Verteidigung des Landes zu machen. Es wird behauptet, dass Kuba militärische Einrichtungen besitzt, die zu den mächtigsten von Lateinamerika gehören. Aber wir hatten keine andere Alternative, als diese militärischen Einrichtungen und diese Stärke zu entwickeln. Es ist für das Land kostspielig gewesen.

 

Die wirtschaftliche Blockade ist auch eine schwere Belastung gewesen. Wenn man all dies zusammenrechnet, können wir es auf so einige Milliarden Dollar einschätzen. Sodass also dies die zwei Aspekte sind: die Ausgaben für die Verteidigung des Landes und die wirtschaftlichen Folgen der Blockade, abgesehen von den Kubanern, die ihr Leben bei der Verteidigung des Landes opfern mussten.

 

Aber trotz alledem sind die Opfer geringer gewesen, weil wir Erfolg in diesem Kampf gehabt haben. Wenn der Brückenkopf der Schweinebucht (Giron) hätte gefestigt werden können und eine Interimsregierung errichtet worden wäre, die um die Unterstützung der OAS und der Vereinigten Staaten gebeten hätte, wie viele Hunderttausende von Menschenleben hätte dies dem Land gekostet? Wie viele Menschenleben hätte ein direkter Angriff der Vereinigten Staaten dem Land gekostet? Letzten Endes haben wir diese Ereignisse vermieden. Deswegen haben wir die Verluste auf das Mindestmaß reduziert, vom menschlichen Gesichtspunkt aus gesehen.

 

William Moyers: Meinen Sie, dass die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern nach alledem normalisiert werden können?

 

Fidel Castro: Ich denke schon, es ist möglich, dass die Beziehungen normalisiert werden können. Wir werden nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass zwei Nachbarländer als ewige Feinde leben werden müssen, aber wir sind nicht diejenigen gewesen, die den Vereinigten Staaten diesen Krieg erklärt haben, es waren die Vereinigten Staaten, die uns diesen Krieg erklärt haben. Wenn die Vereinigten Staaten eine Politik des Friedens und der Freundschaft Kuba gegenüber verfolgen, dann werden wir gegenüber dieser Friedens- und Freundschaftspolitik mit den Vereinigten Staaten aufgeschlossen sein.

 

William Moyers: Sie studieren die Menschen, Sie lesen recht viel und denken recht viel. Welches wäre Ihrer Meinung nach Ihr eigenes Verhalten gewesen, wenn Sie der US-amerikanische Präsident gewesen wären, der erlebt, wie der erste kommunistische Führer in einem Land der westlichen Hemisphäre an die Macht kommt?

 

Fidel Castro: Na ja, in Wirklichkeit bin ich niemals auch nur auf die Idee gekommen, mich an dieser Stelle zu sehen. Ich müsste dies zum ersten Mal überdenken: was hätte ich gemacht, wenn ich mich in dieser Situation befunden hätte.

 

Ich könnte fragen, was hätte Washington gemacht, was hätte Lincoln gemacht? Nicht alle Präsidenten der Vereinigten Staaten waren Imperialisten. Ich möchte mich natürlich mit niemandem von ihnen vergleichen. Aber ich denke, dass es Präsidenten in den Vereinigten Staaten gegeben haben könnte, die eine weisere, anständigere und moralischere Politik verfolgen würden.

 

Unser Lateinamerika kennt eine relativ lange Geschichte - seit der Epoche von Theodor Roosevelt - jener Politik, die, glaube ich, die des Big Stick genannt wurde. Es hat die Diplomatie des Knüppels kennen gelernt. Es hat die Diplomatie der Interventionen kennen gelernt. Es hat die Diplomatie des Dollars kennen gelernt. Aber es hat in letzter Zeit eigentlich nicht eine echte Diplomatie der Freundschaft und des Friedens kennen gelernt. Ich denke, dass diese Diplomatie existieren kann, unter anderem, weil die Welt keine andere Alternative als den Frieden hat, trotz der Unterschiede in Bezug auf die wirtschaftlichen und sozialen Systeme und der politischen Unterschiede. Die Welt hat keine andere Alternative als den Frieden, trotz jener Unterschiede. Weil die Probleme der heutigen Welt nicht durch die Gewalt und durch den Krieg gelöst werden können.

 

Und ich meine, dass viele US-amerikanische Politiker dies begreifen. aus irgendeinem Grund unterstützen viele US-amerikanische Politiker die Friedenspolitik mit der Sowjetunion und die Friedenspolitik mit China. So frage ich mich schließlich: wenn es möglich ist, mit den mächtigen Ländern Frieden zu schließen, welche Moral erlaubt es, eine Feindseligkeits- und Kriegspolitik gegenüber solch kleinen Ländern wie zum Beispiel Kuba oder Vietnam durchzuführen?

 

William Moyers: Hatten die Vereinigten Staaten Recht, sich Sorge zu machen, dass Sie zu einem Verbündeten der Sowjetunion werden würden? Denn als Sie an die Macht gekommen sind, war der Kalte Krieg auf seinem Höhepunkt.

 

Fidel Castro: Und was wäre aus uns ohne die Hilfe der Sowjetunion geworden, als sie uns die Zuckerquote verweigert haben, als sie uns das Erdöl verweigert haben, als sie uns alle Märkte verweigert und als sie die wirtschaftliche Blockade aufgestellt haben? Was wäre aus Kuba geworden? Wie hätten wir dieser Situation standhalten können? Es war ein Glück für uns, in der Sowjetunion einen Verbündeten und einen Freund zu finden.

 

Da alles, was die Vereinigten Staaten gemacht haben, genug gewesen wäre, um jegliche Regierung auf diesem Kontinent zu erledigen. Allein die Abschaffung der Zuckerquote, das heißt, die Abschaffung des Marktes für das Hauptprodukt des Landes, hätte jegliche Regierung erledigt. Die wirtschaftliche Blockade hätte jegliche Regierung in Lateinamerika erledigt. Die Invasion jener Art, wie die der Schweinebucht, hätte jegliche Regierung in Lateinamerika erledigt.

 

Die Vereinigten Staaten haben eine ganze Menge gegen uns gemacht. Im Fall jeglichen anderen Landes hätten sie die Regierung erledigt. Kuba konnte, ausnahmsweise, allen diesen Angriffen standhalten. Allerdings, allein hätten wir ihnen nicht standhalten können. Allein hätten wir kämpfen können, hätten wir heldenhaft sterben können; aber wir hätten nicht jene Maßnahmen der Vereinigten Staaten überleben können.

 

William Moyers: Herr Präsident, wenn die Regierung der Vereinigten Staaten fähig wäre, diese terroristischen Taten gegen ihre Regierung abzuschaffen, wären Sie dann bereit, den Prozess zur Normalisierung der Beziehungen einzuleiten?

 

Fidel Castro: Ich meine, dass es reicht, wenn die Vereinigten Staaten wirklich und aufrichtig die zwischen beiden Ländern bestehenden Probleme analysieren möchten und zugunsten der Verbesserung der Beziehungen arbeiten wollen. Das wäre voll und ganz möglich. Ich meine, dass es nicht von einem vereinzelten Faktor, von einigen Ereignissen, abhängt, sondern davon, dass die Vereinigten Staaten es wirklich und aufrichtig möchten.

 

Wenn dem so ist, dann werden sie unsererseits eine aufrichtige, ehrliche und aufgeschlossene Einstellung auf diesem Gebiet vorfinden. Es ist kein einfacher Weg. Viele Sachen sind passiert, es gibt viele ungelöste Probleme zwischen beiden Ländern. Aber es wäre unsere Pflicht, in dieser Richtung zu arbeiten, wenn die Vereinigten Staaten die gleiche Absicht haben, da ich ehrlich meine, dass es für zwei Länder wie Kuba und die Vereinigten Staaten am logischsten ist, gute Beziehungen der Achtung, der guten Nachbarschaft zu haben, unabhängig von den politischen Positionen und dem sozialen System, die in Kuba und in den Vereinigten Staaten existieren. Mehr noch, ich meine Folgendes: ich meine, dass die Vereinigten Staaten sich daran gewöhnen müssen, dass es in der Welt Veränderungen gibt, dass die Länder sich verändern.

 

Ich würde sagen, dass in dem Maße, wie die Vereinigten Staaten lernen, Beziehungen mit einem Land wie Kuba zu haben, sie lernen werden, später Beziehungen mit vielen anderen Ländern wie Kuba zu haben, sowohl in Lateinamerika als in Afrika, in Asien und auch auf der ganzen Welt.

 

Denn niemand kann denken, dass die Länder der Dritten Welt sich durch den Kapitalismus entwickeln werden. Die Geschichte des Kapitalismus, so, wie er in den letzten Jahrhunderten entstanden ist, wird sich nicht wiederholen. Und viele Länder der Dritten Welt werden einen sozialistischen Weg verfolgen; die Vereinigten Staaten müssen die Art und Weise finden, sich mit diesen Ländern zu verständigen und Beziehungen zu haben und zu handeln und Beziehungen des Friedens und der Freundschaft mit jenen Ländern zu unterhalten, auch wenn sie ihr kapitalistisches System beibehalten.

 

William Moyers: Wie schätzen Sie die Nähe von Kuba zur Dritten Welt ein?

 

Fidel Castro: Na ja, wir haben viele gemeinsame Sachen mit den Ländern der Dritten Welt, genauso wie zunehmende Beziehungen mit den Ländern der Dritten Welt.

 

Ich meine - ohne angeben zu wollen -, dass Kuba einen bestimmten Einfluss in der Dritten Welt ausübt und ich denke, dass das Prestige von Kuba wächst. Es steht mir nicht zu, das zu sagen, aber in Wirklichkeit beobachten wir, aus Erfahrung, dass es ein zunehmendes Interesse für die Sachen von Kuba und für die Beziehungen zu Kuba gibt. Und unsere Freundschaftsbeziehungen mit vielen Ländern von Asien und Afrika entwickeln sich. Unsere Beziehungen zu Ländern der Karibik entwickeln sich. Und logischerweise, weil wir die gleiche Sprache sprechen und uns viele Dinge gemeinsam sind, werden sich unsere Beziehungen mit den Ländern von Lateinamerika entwickeln.

 

Aber die Dritte Welt ist sehr heterogen. Es gibt Länder in der Dritten Welt, die kapitalistisch sind, andere sind sozialistisch, einige sind reaktionär, andere fortschrittlich. Man kann nicht über die Dritte Welt wie über etwas vom politischen Gesichtspunkt aus Homogenes sprechen, aber man kann doch unter dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Interessen, der Probleme der Unterentwicklung und vieler anderer Fragen sprechen, die uns gleich betreffen, unabhängig von politischen Positionen.

 

Wir gehören zur Bewegung der Blockfreien. Dies sind unterentwickelte Länder, sie sind eine zahlreiche Gruppe, und trotz der politischen Unterschiede, die es vom sozialen Gesichtpunkt aus gibt, trotz der verschiedenen politischen Systeme, finden wir die Art und die Weisen für die Koordination und den Kampf um die gemeinsamen Interessen.

 

Außerdem sehe ich keine Perspektive für die Welt, wenn die Probleme der Unterentwicklung nicht gelöst werden; ich sehe keine Perspektive für die Welt, wenn diese Länder nicht ein geeignetes Entwicklungsniveau erlangen, um ihre Bedürfnisse an Nahrungsmitteln, Wohnungen, Bekleidung, Ihren Zugang zum Gesundheitswesen, zur Ausbildung, zur Zerstreuung zu erfüllen.

 

 

Ich meine, die wichtigste Sache für diese Dritte Welt ist, die Entwicklungskonzepte der kapitalistischen Welt zu vergessen, die Lebensweise von Westeuropa und der Vereinigten Staaten zu vergessen, und dass sie fähig sei, andere Werte durchzusetzen, wo nicht nur der materielle Reichtum sondern auch und im Wesentlichen der geistige Reichtum geschätzt werden. Und ich glaube nicht, dass diese so genannten Länder der Dritten Welt danach streben können, dass jede Familie ein Auto und diesen materiellen Lebensstandard besitze, den heutzutage die Vereinigten Staaten zur Schau stellen, weil die Bodenschätze dafür nicht ausreichen würden, die Energiequellen der Welt nicht ausreichen würden.

 

In dieser Hinsicht, meine ich, dass Kuba mit seiner Erfahrung einen bestimmten Einfluss in diesem Sinne in anderen Ländern der Dritten Welt ausüben kann, aber ich habe wahrhaftig kein besonderes Interesse daran, diesen Einfluss von Kuba zu betonen, weil es uns selbst nicht zusteht, das zu sagen.

 

William Moyers: Wünschen Sie, mit den Vereinigten Staaten Handel zu treiben?

 

Fidel Castro: Ich meine, dass der Handel mit den Vereinigten Staaten sowohl nutzbringend für Kuba als auch für die Vereinigten Staaten ist. Aber darüber habe ich einige Argumente gehört: „Wir haben kein Interesse daran, die Probleme mit Kuba zu lösen, weil es vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus nicht so wichtig ist.” Diesem Argument fehlt jede Moral. Es ist so, als würde man sagen: da das Gewicht des Handels mit Kuba von relativ geringer Bedeutung für die Vereinigten Staaten wäre, besteht kein Interesse daran, mit Kuba Handel zu treiben. Trotz alledem und trotz dem Unterschied in der wirtschaftlichen Entwicklung meine ich, dass sowohl die Vereinigten Staaten vom Handel mit Kuba absehen können, als auch wir vom Handel mit den Vereinigten Staaten absehen können. Aber, dass der Handelsverkehr sowohl Kuba als den Vereinigten Staaten nützt.

 

Für uns bedeutet es ein wirtschaftliches Interesse von relativer Bedeutung, aber für die Vereinigten Staaten stellt es nicht nur ein wirtschaftliches Problem sondern auch ein moralisches Problem dar.

 

William Moyers: Ein moralisches Problem?

 

Fidel Castro: Ja, auch. Denn, welcher ist der Grund, dass Kuba vom Handel ausgeschlossen wird und dass mit mehreren anderen sozialistischen Ländern Handel getrieben wird?

 

Noch eine andere Frage: Was würden die Vereingten Staaten machen, wenn alle Länder der Welt sozialistisch wären? Würden sie versuchen, diese Länder mit Blockade zu belegen?

 

Nun stellen Sie sich einmal vor, dass alle Länder von Lateinamerika sozialistisch wären: Könnten die Vereinigten Staaten ganz Lateinamerika mit Blockade belegen?

 

Das heißt, das Problem perspektivisch, langfristig, gesehen, kann vom praktischen Gesichtspunkt aus, vom politischen Gesichtspunkt aus und vom moralischen Gesichtspunkt aus analysiert werden. Diese Blockadepolitik ist widersinnig.

 

William Moyers: Wenn wir Handel treiben würden, welche wären einige der Produkte, die Sie gern austauschen würden?

 

Fidel Castro: Schauen Sie, den Tabak, um ein Beispiel zu nennen. Weil ich weiß, dass unser Tabak… Auch wenn einige US-amerikanische Unternehmen Samen von Kuba mitgenommen haben und versuchten, sie in einigen Ländern von Mittelamerika und in Santo Domingo zu säen, haben sie nie die Qualität des Tabaks von Kuba erreicht, aufgrund der Art des Erdbodens, des Mikroklimas, wegen einer Reihe von solchen Faktoren.

 

Wir sind Zuckerproduzenten, wichtige Zuckerproduzenten, und Ihr seid wichtige Zuckerverbraucher. Wir sind in der Nähe von Euch. In ein paar Stunden kann irgendeines unserer Schiffe den Zucker in die Vereinigten Staaten bringen. Wir sind wichtige Nickelproduzenten, wir haben einen großen Nickelbestand, und Nickel ist ein sehr wichtiger Rohstoff für die Entwicklung der modernen Industrie, der Eisenindustrie. Und wir haben noch viele andere mineralische Ressourcen, die von Interesse sein können.

 

Wir haben ein geordnetes, friedfertiges und ruhiges Land, mit sonnigen Tagen, schönen Strände, wo, dessen bin ich sicher, die US-Amerikaner ihren Urlaub ausgezeichnet gut verbringen könnten, besonders in diesen Momenten, wo die Kälte größer wird. Stellen Sie sich mal ein Jahr mit Temperaturen von 30 Grad unter Null vor, wie sie in New York und in mehreren Teilen der Vereinigten Staaten vorkommen: was für ein herrlicher Ort Kuba wäre, um sich auszuruhen.

 

Schließlich haben wir viele Sachen, die wir den Vereinigten Staaten anbieten können, die nicht unterschätzt werden können. Und genauso interessieren uns viele Waren und interessieren uns Technologien der Vereinigten Staaten.

 

William Moyers: Ersatzteile, zum Beispiel?

 

Fidel Castro: Tja, um Ersatzteile zu bekommen, muss man zuerst die Geräte kaufen.

 

Wir führen, zum Beispiel, Soja ein; wir führen Mais ein, wir führen Reis ein, wir führen viele Nahrungsmittel ein; wir führen viele Verkehrsmittel, Bau- und Landwirtschaftgeräte ein; wir führen Rohstoffe ein, wir führen Halbfertigprodukte ein; wir führen komplette Fabriken ein. Eine Unmenge von Sachen, die von Interesse sind.

 

William Moyers: Herr Präsident, darf ich Sie bitten, die Geschichte, die Sie mir vorher über Ihren Besuch und Ihre Zusammenkunft mit Nixon erzählt haben, wiederzugeben?

 

Fidel Castro: Tja, was kann ich sagen? Ich möchte jetzt nicht viele schlimme Sachen über Nixon sagen, weil Nixon schon nicht mehr der Präsident der Vereinigten Staaten ist. Und es gibt ein Sprichwort, das lautet „man soll nicht vom gefallenen Baum Holz brechen”.

Ich erzählte Ihnen, dass ich, als ich 1959 die Vereinigten Staaten besucht habe, zu einem Gespräch mit einigen Senatoren im Kongress und zu einem Gespräch mit Nixon eingeladen wurde.

 

Ich habe mit Nixon mindestens anderthalb Stunden gesprochen, wenn ich mich richtig erinnere, oder zwei Stunden. Und ich erinnere mich, dass er sich für die Sachen von Kuba interessiert hat; er hat nach unseren Ideen und Plänen gefragt und ich habe die reale Lage von Kuba, die wirtschaftliche Lage, die soziale Lage, die Arbeitslosigkeit, mit mehr als einer halben Million von Arbeitslosen, mehr als 30% Analphabeten; die Armut und die schrecklichen Bedingungen unserer Arbeiter, unserer Bauern, unseres Volkes im Allgemeinen beurteilt.

 

Und ich habe ihm die objektiven Notwendigkeiten, die Kuba hatte, eine Reihe von sozialen Veränderungen auszuführen, eine Agrarreform durchzuführen, den Analphabetismus zu beseitigen, die Arbeitslosigkeitsprobleme für die ganze Bevölkerung zu lösen, dargelegt. Außerdem, dass die von uns getroffenen Maßnahmen sich nicht direkt gegen die Vereinigten Staaten richteten, dass diese nicht darauf gerichtet waren, jemanden im Besonderen zu beeinträchtigen, sondern dass für uns die objektive Notwendigkeit bestand, diese Maßnahmen zu treffen, um die schrecklichen sozialen Probleme unserer Bevölkerung zu lösen.

 

Ich erinnere mich, dass Nixon sehr jung aussah. Er war schätzungsweise über vierzig. Er hat mir mit Interesse, mit Aufmerksamkeit, ich würde sagen, mit Nachsicht zugehört. Und wir haben uns verabschiedet. Später habe ich erfahren, dass er unverzüglich nach dem Interview ein Memorandum an Eisenhower gesendet hat, wo er sagte, dass ich ein Kommunist sei und dass die Kubanische Revolution vernichtet werdenmüsse. Seit diesem Moment, seit jener so frühen Zeit wie April 1959, mehr oder weniger, haben sie angefangen, die Invasion zu planen, einen Plan auszuarbeiten, um die revolutionäre Regierung zu stürzen. Dies waren die Schlüsse, die Nixon aus einem aufrichtigen und ehrlichen Gespräch, das ich mit ihm geführt habe, gezogen hat.

 

William Moyers: Waren Sie Kommunist?

 

Fidel Castro: Ja, ich war Kommunist. Ich persönlich war Kommunist, dies waren meine Überzeugungen.

 

Seitdem ich ein Student war… Zuerst habe war ich ein utopischer Sozialist, als ich die kapitalistische politische Ökonomie studiert habe. Danach, als ich die marxistischen Schriften kennen gelernt habe, fühlte ich mich wirklich von diesen Ideen erobert.

Ich meine, dass diese marxistische Ausbildung mir viel geholfen hat, die Strategie für die Revolution auszuarbeiten. Aber damals war unser Programm noch nicht ein sozialistisches Programm, da die Bedingungen, die subjektiven Bedingungen für die Verwirklichung eines sozialistischen Programmes, in diesem Moment in unserem Land noch nicht existiert haben.

 

Wir, die Hauptführer, hatten sozialistische Ideen, aber unsere Bevölkerung hatte wirklich noch nicht ein sozialistisches Bewusstsein. Dieses Bewusstsein wurde während der Jahre der Revolution geschmiedet.

 

Wir könnten sagen, dass im Jahr 1959 unser Programm das Programm des Moncada-Angriffs war, und es war noch nicht ein sozialistisches Programm; es war ein revolutionäres Programm, ein fortgeschrittenes Programm. Weil unserer Meinung nach der Sozialismus noch nicht auf der Tagesordnung stand. Es war ein Programm für die nationale Befreiung, aber noch nicht etwas, das ein sozialistisches Programm genannt werden könnte. Natürlich, in einer späteren Etappe, würden wir um den Sozialismus kämpfen. Dies waren unsere Überzeugungen. Aber in jenem Moment war es noch nicht unser Programm.

 

William Moyers: Aber als Sie sich erst einmal in diese Richtung aufgemacht hatten, sind Sie da nicht auf die Idee gekommen, dass Sie damit den Weg für die US-amerikanische Hilfe versperrten?

 

Fidel Castro: Ich habe nicht gedacht, dass wir den Sozialismus mit der Unterstützung der Vereinigten Staaten machen könnten. Aber mindestens hätten wir ihn mit dem Respekt der Vereinigten Staaten, mit der Achtung unserer Souveränität als unabhängiges Land machen können.

 

Ich möchte etwas klarstellen.

 

Manche sagen, dass Kuba sich aufgrund der Feindseligkeit der Vereinigten Staaten zum Sozialismus hingewandt hat. Ich meine, dass das durchaus falsch ist. Ich sage Ihnen mit aller Sicherheit, dass wir angesichts der Feindseligkeit oder ohne die Feindseligkeit der Vereinigten Staaten für den Sozialismus gekämpft hätten. Man darf nicht den Sozialismus als Konsequenz der Feindseligkeit der Vereinigten Staaten ansehen. Unbestreitbar hat dieser Feindseligkeitsprozess gleichzeitig den Prozess der Veränderungen hin zum Sozialismus in Kuba beschleunigt. Die Feindseligkeit hat die Veränderungen in unserem Land beschleunigt, aber sie war nicht die Ursache der Veränderungen. Und die Feindseligkeit hat verursacht, dass die Revolution in unserem Land inmitten eines großen Konflikts mit den Vereinigten Staaten verwirklicht wurde. Aber man sollte nicht in der Feindseligkeit die Ursache des Sozialismus in Kuba sehen.

 

Ich erkläre Ihnen das, weil ich Argumente dahingehend gehört habe, manche sogar in ehrlicher Absicht; d. h. die Behauptung, die Kubaner sind aufgrund der Feindseligkeit der Vereinigten Staaten Sozialisten geworden. Nein, die Kubaner haben ihren revolutionären Prozess aufgrund dieser Feindseligkeit beschleunigt. Und diese Feindseligkeit hat in gewisser Weise geholfen, ein sozialistisches Bewusstsein in unserem Land herauszubilden. Da die Bauern gesagt haben: wenn sie uns das Land gibt, dann ist die Revolutionäre Regierung gerecht; wenn sie uns Lehrer schickt, wenn sie uns Ärzte schickt, wenn sie uns Schulen baut, wenn sie die Probleme der Arbeitslosigkeit löst, wenn sie uns Arbeit sucht, wenn sie versucht, der Bevölkerung zu helfen, warum sind dann die Vereinigten Staaten gegen all dies? Das hat geholfen, in unserer Bevölkerung ein sozialistisches Bewusstsein herauszubilden und zwischen dem Sozialismus und dem Kapitalismus zu unterscheiden, so wie den Feind des Guten im Kapitalismus zu sehen, da die Bevölkerung lange Zeit auf eine Regierung gewartet hat, die nicht die Staatskasse plündert und die für das Volk arbeitet.

 

Und die Revolution bedeutete zum ersten Mal in der Geschichte Kubas eine Regierung, die für das Volk gearbeitet hat, und die Vereinigten Staaten haben genau dieser Regierung den Krieg erklärt. Sie waren nicht Batista gegenüber feindselig, sie waren nicht feindselig den korrumpierten Regierungen gegenüber, den Regierungen gegenüber, die die Staatskasse geplündert haben. Das heißt, dass die Regierung der Vereinigten Staaten sich feindselig jener Regierung gegenüber verhält, die für die Bauern, für die Arbeiter, für die Analphabeten, für die Kranken, für das Volk zu arbeiten angefangen hat.

 

Also, das hat geholfen, dass das Volk sich mehr bewusst geworden ist, es hat objektiv unserer revolutionären Überzeugungsarbeit geholfen.

 

William Moyers: Ich meine, dass Sie eine gewisse Bewunderung für John Kennedy fühlen, trotz der Invasion der Schweinebucht, trotz der Raketenkrise und trotz allem, was passiert ist. Stimmt das?

 

Fidel Castro: Ich werde Folgendes sagen: mindestens fühle ich Anerkennung. Aber Bewunderung, es ist schwierig dieses Wort zu benutzen, weil er wirklich Verantwortung für Aggressionshandlungen gegen unser Land hatte. Aber ich habe in Kennedy einen Mann mit persönlichem Mut gesehen; und er hatte persönlichen Mut bezüglich der Invasion der Schweinebucht, die Verantwortung auf sich zu nehmen. Er war ein hervorragender Mann, er war ein hochbegabter Mann, er war ein Mann mit Phantasie und er war ein Mann, der fähig war, sich selbst umzuwandeln.

 

Ich denke, dass Kennedy zum Zeitpunkt seines Todes ein politisch viel höher entwickelter Mann war, viel liberaler, als zu jenem Augenblick, als zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. Dieser Kennedy, der jene Rede gehalten hat, einige Monate vor seinem Tod, eine mutige Rede. Es ist der Kennedy, der schon an eine Veränderung der Beziehungen mit Kuba gedacht hat, was in einer Reihe von Ereignissen zum Ausdruck kam. Und ich habe immer die Überzeugung gehabt, dass Kennedy ein Mann war, der den Mut gehabt hätte, die Politik bezüglich Kuba zu berichtigen. Er hätte ihn gehabt, weil man dazu Mut und Autorität brauchte. Kennedy hatte schon die Autorität dazu, und wir hatten mehrere sehr wichtige Beweise, dass dieser Prozess schon in der Mentalität von Kennedy in Bewegung war.

 

William Moyers: Der Prozess von Versöhnung und Anpassung?

 

Fidel Castro: Der Prozess von Veränderung und Berichtigung in der Politik der Vereinigten Staaten und von Erforschung der Möglichkeiten für eine bessere Beziehung zu Kuba.

 

William Moyers: Eine der überraschendsten Tatsachen in diesem Bericht für den Senat ist, dass die CIA sich im Herbst 1963 mit einem kubanischen Beamten – sein Deckname war Amlash - verschwört hat, Sie zu ermorden. In Wirklichkeit zum gleichen Zeitpunkt, als Kennedy ermordet wurde, hatte man diesem Mann eine Waffe gegeben, um Sie zu ermorden. Jetzt wissen wir, dass dieser Agent ein ehemaliger Verbündeter war, Rolando Cubela. Können Sie etwas über ihn sagen?

 

Fidel Castro: Ja, die CIA hatte wirklich einen Mann rekrutiert, der ihnen genügend Hoffnungen bieten konnte, dass er diesen Attentatsplan verwirklichen würde, weil er ein Student war, der eine relativ herausragende Rolle im Untergrundkampf gehabt hatte. Er gehörte nicht zu unserer Bewegung, sondern zu einer anderen revolutionären Organisation. Er hatte an Attentaten zur Regierungszeit von Batista teilgenommen und danach war er auch Teilnehmer am revolutionären und Guerillakampf im Gebiet von Las Villas. Er war Freund von uns allen und er hatte genügend enge Beziehungen zu uns allen. Das heißt, dass er geeignet für die Mission der CIA, das Attentat auf mich, war.

 

Zu einem gegebenen Moment haben wir ihn aufgedeckt, wegen einer Reihe von Waffen, die er schon bekommen hatte und die er nach Kuba transportiert hatte, aber wir haben noch nicht die Geschichte des Kugelschreibers gewusst. Später haben wir das erfahren. Da wir am Anfang nicht einmal wussten, wer Amlash war. Als wir von ihm gehört haben, haben wir überlegt, wer Amlash sein könnte. Zurzeit glauben wir, ihn identifiziert zu haben, und auch in den Vereinigten Staaten wurde darüber gesprochen. Und es gibt keine Zweifel, dass er ein geeigneter Mann für die Mission war.

 

Allerdings, es ist sehr merkwürdig, sehr merkwürdig, dass fast am gleichen Tag – ich kann es nicht versichern, ich müsste es präzisieren -, fast zum gleichen Zeitpunkt, als Kennedy dort in Dallas ermordet wurde, diesem Amlash in Paris eine hoch entwickelte Waffe übergeben wurde, um ein Attentat auf mich auszuführen.

 

So ist die These nicht vollkommen wahnwitzig, dass die gleichen Leute, die das Attentat gegen mich organisiert haben, das Attentat gegen Kennedy geplant hätten. Es war etwas praktisch Gleichzeitiges.

 

Diesbezüglich gibt es noch mehr sehr verdächtige Sachen, wie den Versuch von Oswald, im September 1963 nach Kuba zu reisen. Er ist im Konsulat erschienen und hat ein Durchreisevisum für Kuba beantragt. Nachher, als er zurückgekehrt ist, haben wir ihn informiert, dass sein Besuch in Kuba nicht akzeptiert wurde und er führte sich dort außerordentlich irritiert, entrüstet unseren Mitarbeitern im Konsulat von Mexiko gegenüber auf.

 

Ich habe mich immer gefragt: welches wohl die Gründe gewesen seien, aus denen dieser Mann Kuba zu besuchen versucht hatte und welche die Auswirkungen gewesen wären, wenn dieser Mann Kuba besucht hätte, in die Vereinigten Staaten zurückgefahren wäre und dann ein Attentat gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten ausführt? Eigentlich gibt es, meiner Ansicht nach, rund um dieses Problem viele befremdliche Sachen, sogar die Form, wie er behauptet, die Schüsse , mit einem Zielfernrohr abgegeben zu haben. Ich würde sagen, dass ein Gewehr mit Zielfernrohr nicht gut dafür ist, um gegen ein bewegliches Ziel zu schießen. Für diese Art von Handlung ist ein Selbstladegewehr viel wirksamer. Dann die Art, wie Oswald wenige Stunden nach seiner Festnahme ermordet wurde, dass ein Element erscheint und ihn dort ermordet.

 

Erstens hatten wir von Anfang an eine Menge Zweifel und Verdächtigungen rund um diese gesamte Angelegenheit des Todes von Kennedy herum. Aber heute wissen wir, dass fast am gleichen Tag, als ein Attentat auf das Leben von Kennedy verübt wurde, ein Agent der CIA eine hoch entwickelte Waffe diesem Amlash übergeben hat, um mich umzubringen.

Aber wir wussten es nicht, früher wussten wir es nicht. Wir haben es erfahren, als die Berichte des Senats an die Öffentlichkeit gebracht wurden. Da wir hier, als wir diesem vermeintlichen Amlash den Prozess gemacht haben, andere Beweise hatten: Gewehre mit Zielfernrohr und andere Waffen, die er bekommen hatte, um auf mich ein Attentat zu verüben. Aber wir wussten nicht von dem Kugelschreiber, darüber hat er damals nicht gesprochen.

 

William Moyers: Es gibt einige Mitglieder des Senatsausschusses, die sagen, dass Amlash in Wirklichkeit ein Doppelagent war, der für euch arbeitete.

 

Fidel Castro: Das habe ich gelesen, aber wenn er doch nur ein Doppelagent gewesen wäre, dann hätten wir von den Plänen der CIA erfahren und er wäre nicht ins Gefängnis gebracht worden; weil er seitdem schon mehrere Jahre, eine Anzahl von Jahren, in Haft ist.

 

Jetzt, werde ich Ihnen etwas sagen: der Senat hat etwas sehr Gutes gemacht, als er alle diese Angelegenheiten untersuchte, trotzdem hat er eine Praxis der Verdunkelung durchgeführt. Da er über alle Verbrechen, die vorbereitet wurden, gesprochen hat, aber sehr vorsichtig war, die Namen der Autoren und Verantwortlichen von diesen Verbrechen zu streichen. Also, neben der guten Tat, diese Verbrechen zu enthüllen, hat er Verdunkelung praktiziert, als er die Namen der Verantwortlichen verborgen hat. Das konsequentste Verhalten wäre gewesen, alles an die Öffentlichkeit zu bringen.

 

William Moyers: Welche ist schließlich Ihre Schlussfolgerung?

 

Fidel Castro: Die Schlussfolgerung ist, dass es objektiv positiv war, was er gemacht hat, aber moralisch sehe ich keine Entschuldigung für die Verdunkelung. Er hat die Mordpläne an die Öffentlichkeit gebracht, aber die Mörder nicht.

 

William Moyers: Präsident Lyndon Johnson hat, nach Abschluss seiner Präsidentschaft, der Nachrichtensendung der CBS gesagt, dass er geglaubt hatte, dass eine fremde Regierung in den Mord von Kennedy verwickelt sei. Und offensichtlich meinte er Kuba.

 

Fidel Castro: Schauen Sie, ich werde Ihnen etwas sagen. Erstens wäre es ein völliger Wahnsinn seitens Kuba gewesen, eine völlig unverantwortliche Handlung, sich in solch ein Abenteuer zu stürzen, wie den Mord an einem Präsidenten der Vereinigten Staaten zu planen. Kein vernünftiger Regierender wäre auf solch eine Idee gekommen, kein revolutionärer Führer unter den Bedingungen von Kuba, abgesehen von den praktischen Problemen. Da erstens anzunehmen ist, dass ein Präsident der Vereinigten Staaten sehr geschützt ist.

 

Und erst das moralische Problem, und außerdem das politische Problem. Welcher verantwortliche Führer von unserem Land hätte sich ausgedacht, den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu beseitigen? Das ist ein riesiger Unsinn, eine Provokation. Das würde bedeuten zu riskieren, dass unser Land von den Vereinigten Staaten zerstört worden wäre. Niemand, der zurechnungsfähig ist, hätte solch eine Sache ausgedacht.

 

Außerdem, gemäß unserer politischen Philosophie, haben wir seitdem wir mit dem revolutionären Kampf angefangen haben, von unserem marxistischen Standpunkt aus, nie an den Tyrannenmord oder an den Königsmord geglaubt. Nie! Das heißt, dass wir während des ganzen Kampfes gegen Batista, während des ganzen Kampfes gegen Batista, nie ein Attentat auf Batista organisiert haben, und es wäre einfach für uns gewesen, Batista zu töten. Aber wir wussten, dass, wenn wir Bastista töteten, damit das System nicht erledigt werden würde. Jemand anders hätte Batista ersetzt. Es hatte keinen politischen Sinn, die Idee über die Beseitigung von Kennedy auszuarbeiten, weil wir Kennedy nicht mit dem System verwechselt haben. Wir haben allenfalls gegen das System gekämpft, aber nicht gegen Kennedy persönlich.

 

An dritter Stelle hatte Kennedy - wie ich Ihnen sage - offensichtliche und klare Schritte in die Richtung auf eine Nachforschung zur Veränderung seiner Politik bezüglich Kubas unternommen. Wenn es jemand in den Vereinigten Staaten gab, der diese Änderung hätte durchführen können, wäre dies Kennedy gewesen.

 

William Moyers: Was ist passiert, als er den Tod gefunden hat?

 

Fidel Castro: In welchem Sinne?

 

William Moyers: Im Sinne dieser Anstrengungen, die er gemacht hatte…

 

Fidel Castro: Es ist nichts passiert.

 

Es gibt noch etwas, das ich Ihnen sagen möchte. Wenn die Vereinigten Staaten den kleinsten Beweis gehabt hätten, dass wir für den Tod von Kennedy verantwortlich wären, hätten sie nicht gezögert, eine Aggression gegenKuba durchzuführen, weil sie Vorwände für Angriffstaten suchten. Wenn sie den kleinsten Beweis gehabt hätten, hätte keine Regierung der Vereinigten Staaten es uns je vergeben. Jedoch niemand ist während der ganzen Ermittlung je wirklich auf die Idee gekommen, eine Beschuldigung gegen Kuba auszusprechen.

 

William Moyers: Erlauben Sie mir, Ihnen eine schwierige Frage zu stellen.

 

Rolando Cubela ist mit einem Beamten der CIA zusammengekommen und scheinbar haben sie sich darüber geeinigt, den Mord an Ihnen zu begehen. Zwei Tage nach dieser Versammlung sind Sie in die Botschaft von Brasilien hier in Havanna gegangen und haben mit einem Berichterstatter von AP namens Daniel Haoker gesprochen. Dieser Journalist hat informiert, dass Sie Folgendes gesagt haben:

 

„Die Führer der Vereinigten Staaten müssen daran denken, dass, wenn sie terroristische Pläne ausarbeiten, um die kubanischen Führer zu beseitigen, sie sich dann selbst nicht davor retten können werden.”

 

Fidel Castro: Ich kann mich nicht an das genaue Datum erinnern, aber ich erinnere mich doch, dass ich einmal eine Erklärung dieser Art, mehr oder weniger so wie gesagt, abgegeben habe. Im Wesentlichen haben wir damals ständig Nachrichten über Attentatspläne bekommen. Nicht genau über diesen von Amlash, nicht über diesen, sondern es gab Dutzende Pläne, einige direkt und andere indirekt.

 

Damals habe ich eine defensive Erklärung in diesem Sinne gemacht. Ich habe gesagt, dass wir informiert waren, dass sie diese Pläne ausgearbeitet haben, dass dies sehr schlechte Präzedenzfälle schaffen würde und dass, wenn diese Ideen in die Praxis umgesetzt werden würden, die Führer der Vereinigten Staaten selbst nicht mehr sicher sein könnten. Das ist wahr. Es ist wahr, dass ich, in einer defensiven Haltung, darauf hinweisen wollte, dass wir wussten, dass sie diese Pläne ausgearbeitet haben, und welche die Folgen davon sein könnten. Das heißt nicht, dass wir Präventivmaßnahmen ergriffen hätten, oder daran gedacht hätten, solche zu ergreifen.

 

Da anzunehmen war, dass ich das Hauptopfer von allen diesen Mordplänen war, habe ich darauf hingewiesen, dass meine Ermordung später unvorhersehbare Folgen hervorrufen könnte, wenn erst die Praxis eingeführt worden wäre, die feindlichen Führer zu ermorden. Verstehen Sie? Und ich habe diese Maßnahme als Warnung ergriffen, um aufzuzeigen, dass die Pläne uns bekannt waren und welche die Folgen davon sein könnten. Es ist wahr, ich leugne es nicht, dass ich diese Erklärung gemacht habe.

 

William Moyers: Aber Sie wollten nie, dass Kennedy ermordet würde?

 

Fidel Castro: An diesem Tag, als Kennedy ermordet wurde, spürte ich wirklich Trauer und Depression. Ich fühlte mich traurig an jenem Tag, obwohl er unser Gegner war. Da Kennedy ein Gegner war, der uns in gewisser Weise bekannt war und an den wir uns in gewisser Weise angepasst hatten. Er war ein Gegner, dem gegenüber wir Achtung spürten, genauso wie ich denke, dass er auch Achtung uns gegenüber spürte. Und deswegen fühlte ich mich wirklich traurig.

 

Ich habe mich gerade mit einem französischen Journalisten, Jean Daniel, unterhalten, der genau an diesem Tag eine Botschaft von Kennedy brachte. Wir haben uns unterhalten, als die Nachricht im Radio verkündet wurde, dass er verletzt war. Und meine größten Hoffnungen waren wahrhaftig, als Erstes, dass er überlebt. Kurz darauf haben sie die Nachricht gebracht, dass er sehr schwer verletzt sei und dass er sterben würde. Das ist, als ob Sie einen Gegner hätten, an den Sie gewöhnt sind und plötzlich wird der Gegner Ihnen weggenommen. So fühlte ich mich an jenem Tag, als Kennedy starb. Es hat mir wehgetan, dass er ein Ende solcher Art gefunden hatte.

 

William Moyers:  Sie haben mir vorher schon gesagt, dass Sie die Autobiographie von Jimmy Carter gelesen hatten.


Fidel Castro:  Ja, die habe ich gelesen.


William Moyers:  Was ist Ihre Meinung darüber?


Fidel Castro:  Ich sagte Ihnen, dass es eine merklich gut gemachte Autobiographie sei.


William Moyers:  Gut gemacht?


Fidel Castro:  Ja. Ich habe sie mit groβem Interesse gelesen. Logischerweise bin ich daran interessiert, jene Persönlichkeit, die die Vereinigten Staaten regiert, kennen zu lernen, die Persönlichkeit des neuen Regierenden der Vereinigten Staaten. Sehr genau habe ich die ganze Geschichte von Jimmy Carter über Jimmy Carter gelesen.


William Moyers:  Welchen Eindruck hatten Sie von ihm?


Fidel Castro:  Die Biographie hat mich interessiert, mich haben die Aspekte seines Lebens als Kind interessiert, vor allem als Landarbeiter bei seinem Vater. Es hat mir ein bisschen mein eigenes Leben als Kind in Erinnerung gebracht, denn ich bin ebenfalls auf dem Land geboren und ich habe auch viele dieser Erfahrung auf dem Land gemacht. Positiv habe ich diesen Aspekt seiner Herkunft gefunden und seines Lebens als Kind und Jugendlicher.

 

Beim Lesen haben ebenfalls sein gewisser selbstkritischer Sinn und sein gewisses Moralgefühl mein Interesse hervorgerufen, die in Übereinstimmung mit seinem religiösen Gefühl, seinen religiösen Ideen und seinen Überzeugungen stehen. Es macht mir nichts aus, dass die Menschen andere Überzeugungen, andere Ideen haben. Wichtiger ist für mich, dass die Menschen konsequent mit ihren Prinzipien und ihren Ideen sind. Wenn ein Mensch Prinzipien hat, hält er sich an diese Prinzipien, aber er verletzt sie nicht. Ich bin der Meinung, dass ein Mann wie Carter sich an eine Politik der internationalen Prinzipien halten kann. Nicht an die marxistischen Prinzipien oder die kapitalistischen Prinzipien, sondern an die universell geltenden Prinzipien der Beziehungen zwischen den Völkern.

 

Ich habe es Ihnen schon gesagt und ich wiederhole es auch hier, meine Idee ist, dass ich in Carter einen gewissen Idealismus sehe, dass es in ihm Elemente von Idealismus gibt. Das finde ich positiv. Aber welches Ergebnis wird dieser Idealismus bei dieser zerreibenden Realität der Vereinigten Staaten zeitigen?

 

William Moyers: Was meinen Sie mit Realität?

 

Fidel Castro:  Die Interessen, die verschiedenen Kräfte und Mächte, die die sich in den Vereinigten Staaten bewegen. Die sind bekannt, warum sollte ich sie also hier nennen. Die sind mächtig und beeinflussen und bestimmen die Politik der Vereinigten Staaten in hohem Maße. Was wird geschehen, wenn Carter eine Idee, eine Meinung, eine Überzeugung darüber hat, was gerechter ist und auf den Widerstand dieser mächtigen Kräfte in den Vereinigten Staaten stößt? Das ist es, was ich damit meine, dass ein Konflikt zwischen Carters Idealismus und der Realität der Vereinigten Staaten auftreten kann. Und welche werden dann die Folgen bzw. wird das Ergebnis von alledem sein?


 Ich möchte noch etwas hinzufügen. Ich habe die Wahlen in den Vereinigten Staaten aufmerksam verfolgt. Ich habe aufmerksam die Details verfolgt, bis frühmorgens um 3:00 Uhr oder 4:00 Uhr, wo die Ergebnisse bekannt gegeben wurden, denn meiner Meinung nach waren die Ergebnisse dieser Wahlen sehr wichtig. Zwischen Ford und Kuba, zwischen Kissinger und Kuba hatten sich schon sehr ernsthafte Konfrontationen ereignet. So war ein Regierungswechsel in den Vereinigten Staaten für uns wirklich wünschenswert. Deshalb bin ich an jenem Tag, nachdem ich die Ergebnisse der Wahlen gelesen hatte, zufriedener schlafen gegangen. Ich habe gesehen, dass Ford keine Lust hatte... Er ist schlafen gegangen, hat nicht einmal Carter gratuliert. Dann dachte ich: Also, ich gehe auch ins Bett. Aber ich habe mich jene Nacht sicherlich viel zufriedener als Ford schlafen gelegt.


William Moyers:  Würden Sie Herrn Carter gern einmal treffen?


Fidel Castro:  Ich glaube, dass das nicht einseitig angegangen werden kann. Ich meine, dass, wenn es eines Tages nützlich ist und er es wünscht, ich ihn ebenfalls mit Vergnügen treffen würde.


William Moyers:  Die letzten zwei Fragen. Wie alt waren Sie, als Sie von den Bergen nach Havanna hinunter gestiegen sind?

 

Fidel Castro: Ich war ein 32 jähriger unerfahrener junger Mann.

 

William Moyers:  Wie fühlten Sie sich als so junger Mann, der ein Land regiert, in dem Bewusstsein, dass die Regierung von den Vereinigten Staaten, die mächtigste Regierung der Welt, es vorziehen würde, Sie erneut in den Bergen zu sehen?

Fidel Castro:  Wie ich Ihnen schon gesagt habe, anfänglich hatten wir auch den idealistischen Glauben, da das, was wir machten, gerecht und rechtmäßig war, dass es von den Vereinigten Staaten respektiert werden würde. Unbestreitbar, dass das ein Irrtum war.

Auf der anderen Seite, mir war bewusst - und so habe ich es öffentlich gesagt -, dass die bevorstehenden Aufgaben schwieriger waren als die, die wir hinter uns gelassen hatten. Und wenn schon der Krieg eine sehr schwierige Aufgabe gewesen war, die wir ausgehend von einem halben Dutzend bewaffneter Männer durchführen mussten, so waren die Verantwortungen, als wir schon an der Macht waren, größer und schwieriger. Aber natürlich waren wir optimistisch, dass wir die Probleme lösen und jene Schwierigkeiten meistern würden.



Kürzlich, bei der Eröffnung der Nationalversammlung, sagte ich, dass ich, wenn ich die Ehre hätte, mein eigenes Leben erneut zu leben, viele Sachen anders machen würde, als ich sie bis heute gemacht habe. Aber mein ganzes Leben würde ich mit derselben Leidenschaft kämpfen, für dieselben Sachen, wie ich bis heute gekämpft habe.

 

Es ist so, die Jugendzeit ist sehr wichtig. Ich glaube, wenn wir nicht jenes Alter gehabt hätten, als wir den Kampf angefangen haben… Beim Angriff auf die Moncada-Kaserne war ich 26 Jahre alt, bei Kampfbeginn im Sierra-Maestra-Gebirge war ich 30. Um solch erhebliche Anstrengung zu unternehmen, war sehr viel Energie notwendig, brauchte man Jugend. Daran besteht kein Zweifel. Außerdem ist die Jugend sehr wichtig für eine öffentliche Person, für einen Schriftsteller, für einen Künstler, für alle: man ist kraftvoll und sehr stark, der Geist ist sehr rein.  Aber mit den Jahren kommt die Erfahrung und daran mangelt es der Jugend.

 

Heutzutage versuchen wir, die logischerweise in diesen Jahren gewonnenen Erfahrungen zu assimilieren. Die Jahre verleihen einem Reife, aber mit den Jahren verlieren wir an Energie. Der Erfolg bestünde darin, die Jugendlichkeit so lange wie möglich zu erhalten und das nach und nach im Laufe der Jahre gewonnene Wissen gut auszunutzen.

 

Und selbstverständlich, der Optimismus. Ohne unseren Optimismus zu jener Zeit hätten wir niemals auch nur an solch ein Unternehmen zum Sturz der Batista-Regierung gedacht, denn wir hatten keine Unterstützung. Wir zählten nicht auf die Hilfe irgendeines Landes, hatten keine Waffen, keine Soldaten, wir hatten überhaupt nichts. Allem Anschein nach war alles das unmöglich.

 

Wären wir nicht überzeugt gewesen, dass unsere Gesichtspunkte gerecht waren, dass unser Ideal und unser Weg gerecht waren, dass wir auf die Hilfe des Volkes zählen können würden und dass wir die Schwierigkeiten überwinden würden, dann hätten wir nicht diesen Kampf angefangen.

 

Uns wurden weder Waffen per Schiff gelandet noch Waffen mit Fallschirmen abgeworfen. Alle Waffen, die wir hatten, die riesige Mehrheit, mussten wir Batistas Soldaten abnehmen. Ohne Jugend hätten wir das, was wir gemacht haben, nicht tun können.

Ich wiederhole erneut, dass ich ein 32-jähriger unerfahrener junger Mann war, aber ich war mir zumindest dessen bewusst. Ich war weder von Eitelkeit noch von Selbstgefälligkeit besessen und ich war überzeugt, dass wir einen viel schwierigeren Weg anfingen.

Als der Krieg aufhörte, endete auch das Szenarium, für das wir eine Erfahrung erworben hatten, und so begann schließlich die Regierungserfahrung, für die wir keine Vorbereitung hatten.

 

William Moyers: Was haben Sie in all dieser Zeit über die Vereinigten Staaten gelernt?

 

Fidel Castro: Also, ich habe ein bisschen kennen gelernt, wie die Vereinigten Staaten wirklich waren. Ich habe erkannt, dass sie weniger idealistisch waren, als ich mir vorgestellt hatte, und ich habe die Kräfte vieler mächtiger Interessen in den Vereinigten Staaten entdeckt. Ich habe die Kraft von alledem erkannt.

 

Meiner Meinung nach haben die Vereinigten Staaten ebenfalls bezüglich Kuba gelernt, sie haben eine nützliche und bedeutende Erfahrung gemacht. Aber wir haben auch gelernt, die Macht der Vereinigten Staaten zu kennen, ein Land, das nicht unterschätzt werden darf. Gleichermaßen sind wir der Ansicht, dass die Vereinigten Staaten verstehen werden, dass ein kleines Land wie Kuba nicht unterschätzt werden darf.

 

Und ich kann auch sagen, dass ich mich über die Jahre hinweg immer mehr wundere, je mehr ich die US-Amerikaner kennen lerne. Ich denke, dass jeder US-Amerikaner einen einzigartigen Charakter hat. Das Einzige, worin ein US-Amerikaner dem anderen ähnelt, besteht darin, dass praktisch jeder von ihnen anders als der andere ist, denn jeder hat eine sehr eigene Persönlichkeit. Es ist ein Land von äuβerst individualistischen Menschen. Ich kann mir vorstellen, wie schwierig es sein wird, den Sozialismus in den Vereinigten Staaten aufzubauen!

 

Ich konnte ebenfalls viel mehr positive Aspekte der Vereinigten Staaten wahrnehmen: den Beitrag der US-Wissenschaftler zur Wissenschaft, zur Technik, zur technologischen Entwicklung der Vereinigten Staaten, sogar die Charakteristiken ihrer Unternehmer mit Herkunft aus verschiedenen Ländern. Und man erkennt, dass die US-amerikanischen Unternehmer äuβerst aktiv, aggressiv in ihrer Geschäftsführung sind. Dies sind die Eigenarten, mit denen in den letzten 200 Jahren die aktuellen Vereinigten Staaten erbaut wurden.


Ich habe auch den Unterschied wahrnehmen können zwischen den damaligen Zeiten, als die Vereinigten Staaten sich mit der Fackel der Freiheit erhoben und die besten Ideale und besten Träume der Menschheit dargestellt haben sowie für die übrige Welt ein Beispiel als revolutionäres Land waren, und den aktuellen Vereinigten Staaten, ein Land, das zu einer Leitfigur der Reaktion, des Neokolonialismus und der ungerechtesten Ideale und Sachen geworden ist. Ich sage das ganz offen. In letzter Zeit haben die schlimmsten, repressivsten, reaktionärsten, im höchsten Grade ausbeuterischen Regierungen der Welt immer die systematische Unterstützung der Vereinigten Staaten gehabt. Die progressiven Regierungen, die die soziale Gerechtigkeit herstellen wollten und wirklich für das Glück der Menschen kämpfen wollten, haben immer den systematischen Widerstand der Vereinigten Staaten gehabt.

 

Ihr habt vor kurzem den 200. Jahrestag gefeiert, aber meiner Meinung nach gibt es einen beachtlichen Unterschied zwischen den Vereinigten Staaten, die in den Jahren von Washington gegründet wurden und den Vereinigten Staaten des 200. Jahrestags. Aber was in letzter Zeit passiert ist, sowohl die Anklagen über absolut unmoralische und kriminelle Sachen als auch die Anklagen über die CIA-Aktivitäten, und ich denke auch die gesamte Lehre aus dem Watergate-Skandal und die Berichtigung der Kriegspolitik gegen Vietnam, sind meiner Meinung nach positive Anzeichen, dass es eine gewisse Berichtigung in der Politik der Vereinigten Staaten geben kann und dass es auf der Welt einen Platz für eine Politik des Friedens gibt, die unabhängig vom Gesellschaftssystem für alle Völker von Nutzen ist.

 

Würde ich Ihnen sagen, dass ich daran glaube, dass der Kapitalismus ewig ist, wäre es eine Lüge. Ganz offen gesagt bin ich der Meinung, dass der Kapitalismus nicht ewig ist, er wird vorbeigehen. Ich denke, sogar in den Vereinigten Staaten. Ich würde mir nicht getrauen zu sagen, wie lange es dauern wird. Ich denke, dass aller Wahrscheinlichkeit nach vielleicht die Vereinigten Staaten das letzte Land sein werden, wo der Kapitalismus fortdauern wird. Und wie ich bereits gesagt habe, bin ich der Meinung, dass es eine sehr schwierige Aufgabe sein wird, den Sozialismus in den Vereinigten Staaten aufzubauen.

 

William Moyers: Es ist erstaunlich, von Ihnen zumindest ein paar Worte über eine Regierung sagen zu hören, die wollte, dass Sie Ihren Bart verlieren.

 

Fidel Castro:  Ja. Aber das ist nicht so wichtig, schließlich kann ich mich zu guter Letzt rasieren. Das ist nicht allzu gut für mich, denn die grauen Haare bekommt man zuerst im Bart und ich habe mich schon verpflichtet, meinen Bart zu behalten und mir bleibt keine andere Wahl, als meine grauen Haare ebenfalls zu behalten, ich kann sie nicht abrasieren.

 

William Moyers:  Vielen Dank, Herr Präsident.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ort: 

Ciudad de La Habana. Cuba.

Datum: 

03/02/1977